Rebecka Edgren Aldén - Die achte Todsünde
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Rebecka Edgren Aldén - Die achte Todsünde
 
Rebecka Edgren Aldén - Die achte Todsünde
Hier können Sie Probelesen in einem Buch des Autors Jon Ewo.
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Broschiert, 352 Seiten
Unionsverlag Zürich
Erscheinungsdatum:
April 2002
ISBN: 3293202330
Übersetzung:
Christel Hildebrandt
Orginaltitel: "Hevn"
Kurzbeschreibung

Alex Hoel, einstiger Geldeintreiber und Erpresser, ist aus dem Business ausgestiegen; zusammen mit Irina un ihrem kleinen Sohn will er ein ruhiges Leben führen. Im Zentrum von Oslo eröffnet er für all die verlorenen Seelen der Großstadt eine Bar mit Stil. Krumme Geschäfte duldet er nicht. Doch dann wird direkt vor der Bar ein Mann erschossen, eine große Abrechnung in einer Bikergang beginnt. Alex Hoel bleibt nichts anderes übrig, als sich einzumischen. Dabei trifft er auf alte Bekannte, die ihn schon früher nicht leiden konnten.

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Leseprobe

Rechtsanwalt Carl von Sunna af Rosén saß im Oberlandesgericht und wartete auf die Gerechtigkeit.
Die Verhandlung gegen einen der sonderbarsten Mandanten, den er je gehabt hatte, war abgeschlossen. In wenigen Minuten würden sie alle in den Gerichtssaal zurückkehren, und der Richter würde den Angeklagten auffordern, sich von seinem Platz zu erheben.
Der Angeklagte – der dem jungen Max von Sydow ähnelte – saß vor ihm auf einem Holzstuhl im Warteraum und schien seiner eigenen Verhandlung gegenüber gleichgültig. Während der polizeilichen Ermittlungen und auch im Gerichtssaal hatte der Angeklagte nur vor sich hin gestarrt. Von Anfang an war dieser junge Mann, Martin Ager, stumm geblieben, trotz der Anklage, die gegen ihn erhoben worden war. Einige Journalisten würden später schreiben, dass er diese Mauer der Apathie hätte durchbrechen müssen, um so die tragischen Geschehnisse zu verhindern, die noch folgen sollten. Martin Agers Gesicht hatte etwas Würdiges an sich und verriet keinerlei Gefühlsregung dem kommenden Urteilsspruch gegenüber. Er schien aus einer anderen Zeit zu kommen.
Hier im Warteraum saß Martin Ager vor Carl von Sunna af Rosén genau so da, wie er die ganze Zeit auf der Anklagebank gesessen hatte. Sein weißes Hemd war bis oben zugeknöpft, die blaue Hose frisch gewaschen und gebügelt. Ager war groß, stets glatt rasiert, und Rosén musste immer wieder seinen großen Adamsapfel anschauen, der sich über dem Hemdkragen auf und ab bewegte, wenn er schluckte. Im Gegensatz zu den anderen Mitgliedern der Bikerclubs trug er sein dünnes Haar nicht in einem aggressiven Bürstenhaarschnitt, sondern glatt gekämmt. Obwohl er erst fünfundzwanzig Jahre alt war, bewegte er sich langsam, seine Hände lagen fast immer ruhig im Schoß, seine Schritte waren verhalten.

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Leseprobe

Jetzt saß er mit gesenktem Kopf da und schaute auf seine Hände. Die Hände hatten etwas Weiches an sich. Sie waren zwar nicht schön, aber sie wirkten irgendwie weiblich. Die Nägel waren mandelförmig geschnitten und poliert, sodass sie wie Elfenbein glänzten, und das Nagelbett war offensichtlich sorgfältig gepflegt. Rosén war überzeugt davon, dass der Mann ihm gegenüber sich auch auf eine altmodische Art und Weise ausgedrückt hätte, wenn er geredet hätte.
Die Zuschauerreihen waren bis auf den letzten Platz besetzt. Vor dem Gerichtssaal und auch unter den Journalisten und den Zuschauern herrschte eine Stimmung, die Rosén an einen Südstaatenmob vor einem Lynchversuch erinnerte, wie er ihn während seines Studiums erlebt hatte. Und je lauter die kollektive Forderung nach der strengsten Bestrafung für kriminelle Motorradgangs gestellt wurde, umso mehr schien sich sein Mandant in sich selbst zurückzuziehen.
Am schlimmsten war es jedes Mal gewesen, wenn die Presse sie auf den Fluren des Oberlandesgerichts überrumpelt hatte. Rosén stand immer wieder das gleiche Bild vor Augen: Martin Ager umringt von Journalisten, bedrängt von ihren Mikrofonen und Kameras. Ager blieb stehen wie ein schwerfälliger Ochse, verlegen und sprachlos. Er starrte die Journalisten um ihn herum nur an, mit einem Zug von Verletztheit im Blick, als wäre ihm klar, dass etwas Schmerzhaftes vor sich ging. Bestenfalls holten die Journalisten ein »Hä?« aus ihm heraus. Und es gab immer jemand, der es schaffte, »Idiot!« zu rufen, bevor es Rosén gelang, seinen Mandanten aus dem Kreis herauszuholen.
Durch Nicken oder allenfalls eine Handbewegung, manchmal auch nur dadurch, dass er die schweren Augenlider hob, gab Martin Ager zu erkennen, dass er verstand, was Rosén sagte. Aber er hielt immer und unerschütterlich den Mund.
Was sollte man nur mit so jemandem anfangen? Zwar kam Martin Ager aus dem Bikermilieu und musste schon allein deshalb für eine gefährliche Person gehalten werden. In diesem Fall jedoch hatte man beschlossen, die Zahl der anwesenden Bereitschaftspolizisten zu reduzieren. Ager verhielt sich so teilnahmslos, dass man eher fürchtete, er könne sich selbst etwas antun, als dass er versuchen würde, zu fliehen. Seine Passivität hatte sogar Carl von Sunna af Rosén zweimal dazu gebracht, die Beherrschung zu verlieren.
Er hatte so laut geschrien, dass das Wachpersonal die Luke der Zelle geöffnet und gefragt hatte, ob denn alles in Ordnung sei. Rosén hatte sich wieder beruhigt, sich seinem Mandanten zugewandt und diesem erklärt, dass er ein Urteil von achtzehn bis zwanzig Jahren für Mord riskiere, wenn er sich nicht äußere. Oder aber er würde für unzurechnungsfähig erklärt und in der Klinik von Säter in Süd-Dalarna verschwinden. Wollte er denn auf dem gleichen Flur wie der Massenmörder Quick sitzen? Wollte er für etwas verurteilt werden, das er selbst nicht begangen hatte?
Ager hatte währenddessen unbeweglich dagesessen, seine gepflegten Hände im Schoß, und ihn mit blauen, betrübten Augen angestarrt. Nichts deutete darauf hin, dass sein Mandant den Ernst dieser Worte begriff.
Am liebsten hätte Rosén den Mann gepackt und kräftig geschüttelt – ihn am Kragen hochgezogen und durch den Raum geschleudert. Als Rosén die Worte »für etwas verurteilt werden, das er selbst nicht begangen hatte« benutzte, hatte Ager für einen kurzen Moment seinen Blick erwidert und dabei gelächelt, so wie ein alter Mann ein Kind anlächelt, das nichts vom Ernst des Lebens weiß. Es lag so viel Trauer in diesem Lächeln, dass es den Rechtsanwalt Rosén verlegen machte. Hinterher hatte er versucht zu bitten und zu argumentieren. Aber sein Mandant starrte schon wieder auf den Boden.
Das zweite Mal, als Rosén die Beherrschung verlor, war er aus der Zelle marschiert, fest entschlossen, den Fall niederzulegen. In der folgenden Nacht schlief er schlecht. Mehrmals wachte er abrupt aus einem Albtraum auf, in dem sein Mandant zum Tode verurteilt wurde.
Aus dem Fenster des Gerichtsgebäudes konnte Rosén im trüben Augustlicht die Häuser auf Riddarholmen sehen. Sie schienen sich in dem eiskalten Regen zusammenzukrümmen, der schräg von Riddarfjärden hereingeweht kam und die Sicht auf Mälaren verhinderte. Der Wind vom Meer her peitschte den Regen gegen die Fensterscheiben, an denen das Wasser in kleinen Bächen herunterlief. Falls sich Touristen bis unten an den Kai verirrt hatten, würden sie statt eines der schönsten Panoramen der Hauptstadt nur graue Schattierungen sehen. Rosén schwitzte trotz des kühlen Augustwetters. Der Hausmeister des Gerichtsgebäudes, ein schwerfälliger Mann aus Gotland, hatte offenbar die Heizung voll aufgedreht.
Carl von Sunna af Rosén wendete den Blick von den regennassen Fensterscheiben ab. Er war Rechtsanwalt geworden, weil er an die Gerechtigkeit glaubte. Und er war der Meinung, dass in diesem Fall großes Unrecht geschah.
Der Staatsanwalt, die Medien und der gesamte Rechtsapparat waren besessen von dem Gedanken, diesen Mann zu verurteilen. Die Reporter der Nachrichtenredaktionen aller skandinavischen Fernsehsender berichteten täglich über die neuste Entwicklung im Gerichtsverfahren gegen diesen Biker, der von allen verachtet wurde. Rosén verfluchte die Tatsache, dass Ager momentan bekannter war als Quick, die Estonia oder Jonas Gardell.
Rosén selbst war der Meinung, dass es ausreichend Gründe gab, an den widersprüchlichen Zeugenaussagen zu zweifeln. Aber je weiter sich die Verhandlung zu Ungunsten von Ager entwickelte, umso mehr zeigten sich die Geschworenen als eine geschlossene Gruppe, die nur eines wollte: Rache. Selbst die Gerichtsstenografin, eine normalerweise reizende Frau Mitte fünfzig, verbarg ihre Verachtung für Ager von Tag zu Tag weniger.


Buchtipp
Camilla Läckberg - Die Eishexe: Kriminalroman (Ein Falck-Hedström-Krimi 10)

Ager wurde beschuldigt, einen Mann getötet und einen zweiten schwer verletzt zu haben. Er war zwar groß und muskulös wie ein Ochse, aber er war bei der Sache allein gegen fünf gewesen. Kein Mensch mit einem Funken Verstand würde auf fünf Biker losgehen. Rosén versuchte die Sache so darzustellen, dass die fünf mit seinem Mandanten und dem Verstorbenen Streit angefangen hatten. In seiner Version der Geschichte waren die fünf Zeugen die eigentlichen Schurken. Aber Schweden dürstete nach Rache, und der Ruf nach Lynchjustiz hatte sich offenbar auch auf Norwegen und Dänemark ausgebreitet.

Rosén war der Meinung, dass die Gesellschaft sehr wohl Rechenschaft für ein begangenes Verbrechen fordern durfte. Aber die Hysterie um die Bikerbanden in Skandinavien ließ keine sachliche Diskussion mehr zu und nahm nicht einmal mehr Rücksicht auf die elementarsten demokratischen Rechte. Denn auch wenn die Biker sich als Außenseiter sahen, so hatten sie doch das Recht auf die gleiche Behandlung wie ein Klempner oder ein Bankdirektor. Zumindest bis sie schuldig gesprochen waren. Und für Rosén war dieser Mann unschuldig. Wenn er ihn nur dazu überreden könnte, etwas zu sagen, dann wäre sicher die Wahrheit schon längst an den Tag gekommen.
Aber das war ihm nicht gelungen. Jetzt war es eine halbe Stunde her, dass sie den Gerichtssaal verlassen hatten. Er fuhr sich mit der Hand über die Stirn und schaute zu den Heizkörpern unter den Fenstern.
Rosén beugte sich zu seinem Mandanten vor. Wenn schon die Gesellschaft diesem Mann keine Gerechtigkeit zukommen lassen wollte, so musste er, Carl von Sunna af Rosén, ein Mann von Ehre, das tun.
»Sie wissen, Ager«, sagte er und räusperte sich, »es gibt einige Geschichten darüber, wie Gefangene aus genau diesem Warteraum geflohen sind. Da gab es beispielsweise einmal einen Angeklagten, der hat sich das Jackett seines Anwalts geschnappt, ist zum Fenster gegangen, hat es aufgebrochen und ist rausgesprungen.«
Rosén musterte Agers Gesicht. Der Mann saß mit gesenktem Blick da und zeigte mit keiner Regung, ob er ihn verstanden hatte.
Der Rechtsanwalt stand auf, zog sich seine teure Boss-Anzugjacke aus und hängte sie über die Stuhllehne.
»Ager, Sie müssen wissen, dass dieser Mann, der es geschafft hat, zu fliehen …« Er zog seine Brieftasche aus der Innentasche der Jacke heraus und zählte offen die Geldscheine. »Er war verzweifelt. Er ist aus dem Fenster hinunter auf die Straße gesprungen. Der Sprung kann wehtun, aber er ist nicht gefährlich.«
Rosén setzte sich wieder, krempelte sich die Hemdsärmel hoch und sah seinem Mandanten direkt in die Augen. Er schob seine Brieftasche wieder in die Innentasche und erzählte weiter, wie der verzweifelte Gefangene abgewartet habe, bis sein Anwalt ihm den Rücken zukehrte. In dem Moment habe er ihn niedergeschlagen.
Rosén bemerkte, dass Agers Blick auf der Innentasche des Jacketts ruhte, in der der Rand der Brieftasche zu sehen war. Es war keinerlei Gefühl in Agers Blick auszumachen. Der Mann schaute abwechselnd auf die Brieftasche und seine Hände.
Rosén stand auf und drehte sich zum Fenster um. Er betrachtete ruhig das, was er durch das Laub von der Fassade des Gamla Auktionsverket auf der anderen Seite des gepflasterten Platzes sehen konnte. Als er seinen Kopf ein winziges bisschen zur Seite drehte, konnte er im Augenwinkel sehen, wie Ager aufstand. Carl von Sunna af Rosén fühlte einen Sog wie von einem hochfahrenden Aufzug.
Agers Kopf, immer noch vorgebeugt, schien nach oben hin aus seinem Blickfeld zu verschwinden, dann kam die Kurve des vorstehenden Adamsapfels über dem weißen, zugeknöpften Hemd ins Blickfeld. Rosén drehte ihm den Rücken zu, nahm seine Brille vorsichtig ab und schob sie in die Brusttasche seines Hemds. Er kniff die Augen fest zusammen und blieb still stehen.
Er hörte Agers Schritte durch den Raum. Der Mann blieb direkt hinter ihm stehen, so nahe, dass Rosén den Geruch seiner Haut wahrnahm – säuerlich und mit einem seltsamen würzigen Unterton, etwas, das an Dschungel erinnerte.
Als Rosén das Dach auf den Kopf fiel, hörte er die Stimme des Mannes. »Danke«, sagte er, und Rosén stellte fest, noch bevor er in Ohnmacht fiel, dass die Stimme seines Mandanten genau den würdevollen, ruhigen Ton traf, den er sich vorgestellt hatte.

Danke an den Unionsverlag Zürich für die Veröffentlichungserlaubnis.
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